Als ich am nächsten Tag meinen Rucksack schulterte, um
das Dorf, das nur einen Fußmarsch von einer guten Stunde von Menyamya entfernt lag, zu verlassen, fing Jo bitterlich an zu weinen. „Was ist denn passiert“, fragte ich, und er gab mir auf Pidgin zu verstehen, dass nur alle 2-3 Jahre ein Weißer in dieses Dorf kommt. Es sind dann immer zugeknöpfte Naturforscher oder Wissenschaftler, die nicht gestört werden wollen. „Touristen oder einer wie Du waren noch nie hier und noch nie hat ein Weißer hier übernachtet. Wieland ist der erste, der hier geschlafen hat, und das für drei Nächte in meiner Hütte, I'm happy, I'm happy, I'm very happy.“ Er schluchzte es mit einer tränenerstickten Stimme dreimal, denn von nun an war er der angesehenste Mann in seinem Dorf.
In etwa 2500 m Höhe gehen die Ur- und Regenwälder in Nebelwälder über. Ein Großteil der Bevölkerung lebt hier, denn das ist der beste Schutz gegen die todbringende Malaria. Die Überträgerin, die Anophelesmücke, ist in solchen Höhen nicht mehr lebensfähig. In dieser kühlen, Wolken verhangenen Traumwelt wachsen riesige urzeitlich Baumfarne. Moose und Flechten bedecken den Boden und die Baumstämme. Bis zu 30 m hohe Bäume, teilweise mit Brett- und Luftwurzeln, werden von gewaltigen Lianen überwuchert, die wie Seile herabhängen. Die verwirrende Vielfalt der Pflanzenwelt ist beeindruckend. Häufig trifft man auf kleine, malerische Wasserfälle, die in allen Blautönen durch das dichte, satte Grün des Waldes sprudeln. Wie auf Schmierseife rutschten wir auf unseren Hosenböden die lehmigen, schlammig-braunen, steilen Abhänge herunter. Ein bergab Gehen war unmöglich. Wer es trotzdem versuchte, landete postwendend wieder auf seinem Hinterteil und hatte alle Lacher auf seiner Seite. Wie begossene Pudelwelpen, die sich in einer mistigen, tiefen Pfütze gerauft haben, sahen wir aus, als am Abend das kleine Dschungeldorf wieder erreicht wurde.
Die Papuas wollten viel über mich wissen, insbesondere, aus welchem Land ich kam. Die Weißen, die sie gesehen hatten, kamen meist aus Australien oder den USA. Da ich aus Deutschland war, interessierte: West oder Ost? Ich war frappiert. Sie wussten nichts von der deutschen Einheit. Auch in der Schule wird noch gelehrt, dass es zwei deutsche Staaten gibt. Einer wissbegierigen Lehrerin erzählte ich vom Fall der menschenverachtenden Mauer. Sie notierte in einem Schulheft: 9.11.1989 Germany no borderline! Communism broken down!
In einigen Urwalddörfern hatte man noch nie einen Weißen gesehen. Bei meiner Ankunft schrieen die Kinder vor Angst und kletterten auf hohe Bäume. Wer keinen mehr abbekam, versuchte sich Hals über Kopf im dichten Gestrüpp zu verstecken oder rannte wieselflink zurück ins nahe gelegene Dorf. Später versuchten sie dann meine helle Haut zu berühren. Vom lauten Geschrei angelockt, kamen die Erwachsenen herbei. Einer fragte mich: „Bist du ein Australier ?“ Ich erwiderte: „Warum ?“ „Vor zwölf Jahren habe ich einen Weißen gesehen und der war aus Australien. Du musst auch aus Australien sein.“ Kurz vor dem Dorf entdeckte ich am Boden eine gemeine, heimtückische Stacheldrahtstolperfalle, die sehr gut mit Buschgras getarnt war. Man hatte vor lauter Erregung vergessen, mich darauf hinzuweisen. Für sie ist ja klar, dass man da einen Schritt darüber setzt. Gut, dass ich aufgepasst hatte, denn das hätte eine üble und schmerzhafte Wunde geben können, von dem Sturz unter vollem Gepäck ganz zu schweigen. Als ich im Dorf ankam, eilten alle Bewohner herbei und schüttelten mir lange zur Begrüßung die Hand, klopften mir, den Freudentränen nahe, auf die Schulter, umarmten mich herzlich und bestaunten neugierig meinen merkwürdigen Rucksack, fast ebenso wie mich. Ein älterer Mann weinte vor Glück und ich sollte mich gleich an sein Feuer setzen. Es war für die Dorfbewohner eine Ehre, mich beherbergen zu dürfen, und sie nahmen mich sofort in ihrer Gemeinschaft auf. Sie waren gastfreundlich und freigiebig, gaben mir selbstverständlich kostenlos zu essen. Serviert wurde auf frischen Blättern, gegessen mit den Fingern. Geschirr und Besteck gab es nicht. Sie teilten mit mir alles, was an Nahrung zur Verfügung stand. Beschenkt wurde ich mit unbekannten Früchten aus den Regen- und Nebelwäldern, mit Pfeil und Bogen, Wildschweinzähnen und buntem Federkopfschmuck. Gegengeschenke meinerseits wie Feuerzeuge, Angelschnur, Kugelschreiber, Buntstifte, etwas Tabak und Gewürze fanden großen Anklang. Diverse Fotos, die ich mitbrachte, waren jedoch am begehrtesten. Jeder, der einmal wirklichen Naturmenschen begegnet ist und sich ihnen anvertraut hat, kann bestätigen, daß er es in den meisten Fällen mit ehrlichen und anständigen Charakteren zu tun gehabt hat. Wenn ich zum Baden an den Fluss mit dem idyllischem Wasserfall ging, folgte mir eine enthusiastische, bunte Kinderschar im Gänsemarsch. Einer nach dem anderen kletterte pfeilschnell den steilen Berg hinauf und sprang dann ohne lange zu fackeln schwungvoll und laut lachend den Wasserfall hinunter. Ich sollte immer dann fotografieren, wenn sie sich mit den Armen und Beinen rudernd in der Luft befanden, aber soviel Filmmaterial konnte ich nicht verplempern und drückte immer auf den Auslöser, ohne die manuelle Kamera vorher aufzuziehen. So bekamen die Kleinen auch ihren Spaß und ich stand nicht als seniler Spielverderber da.
Spät nachmittags, als ich klitsch nass von meiner täglichen Buschtour zurück kam, winkte mich ein Bewohner hinter seine Pfahlhütte, an die er zwei adipöse Schweine festgebunden hatte, um mir etwas zu zeigen. Er wollte von mir wissen, ob ich diese Pflanzen kenne, die er dort kultiviert hatte. Es war Cannabis. In der Hütte fielen mir mehrere Paradiesvogelbälge auf, die an den aus Bambus geflochtenen Wänden neben Pfeil und Bogen hingen.
Am darauf folgenden Tag zeigten mir die Jäger stolz ihre selbstgebauten Gewehre. Als Läufe dienten Wasserrohre, mitgebracht aus der Stadt, die Kolben originalgetreu nachgeschnitzt. Zusammengehalten wurden die abenteuerlichen Waffen mit breiten Gummistreifen, geschnitten aus alten Autoreifen. Beim Nachladen musste jedes Mal der Lauf abgenommen werden, um die Patrone einzulegen. Um den Schuss auszulösen, zog man an einem dünnen Gummi, der einen rostigen Nagel auf die Zündkapsel schnellen ließ. Mac Guyver lässt grüßen!

 

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