Um 6°° Uhr früh am nächsten Morgen wurde ich von einem wilden
lärmenden Geschrei und Gegröle ganz in der Nähe geweckt. „Was ist los?“ „Lady – fighting! Lady – fighting! Come on, Wieland, come on.” Keine 30 m weiter stand ein exaltierter schmissiger Kerl auf dem Dach seiner schiefen Bretterhütte. Wie von einer imaginären Kanzel herunter, mit peppig hoch erhobenen Armen, feuerte er zwei sich wild aufeinander einprügelnde, junge Frauen beim Kämpfen an. Kratzend rissen sie sich gegenseitig die schon stark verschmutzten und zerlumpten Kleider vom Leib. Laut kreischend zogen sie sich an den Haaren, traten sich mit den Füßen, fielen nieder und schlugen sich vor Wut schäumend im aufgeweichten, schlammigen Boden erbarmungslos weiter. Die militanten Rivalinnen waren bald vom ganzen schaulustigen Elendsviertel umringt und wurden nun von allen Seiten mit rigorosen Anfeuerungsrufen aufeinander gehetzt. Um was es denn eigentlich ginge, wollte ich wissen? „Die Gewinnerin bekommt den attraktiven jungen Mann auf dem Dach.“
Durch eine endlos gewellte Hügellandschaft ging es am nächsten Tag in ein fast ungezähmtes Naturparadies. Ein wildes zerklüftetes Bergpanorama setzte die Akzente. Das ausgedehnte Bergland Neuguineas birgt für Fremde viele Gefahren. Es gibt im Inneren des gigantischen Tropenlandes kaum eine Spur von Zivilisation, keine erschlossenen Trekkingrouten oder gar eine touristische Infrastruktur.
Wer solche Dschungeltouren unternehmen will, muss über eine gute Kondition verfügen und ein halber Bergsteiger sein. Trotzdem wäre er ohne die Hilfe ortskundiger Einwohner verloren.
Mit den friedlichen Papuas bekam ich sehr gute Kontakte, da ich als Freund angesehen wurde und nicht als neugieriger Tourist. Sie waren sehr aufgeschlossen und gastfreundlich und halfen mir weiter zu anderen abgelegenen Urwalddörfern. Dazu waren mehrstündige beschwerliche Fußwanderungen auf schlecht erkennbaren, handtuchschmalen Jagdpfaden notwendig, die sich nach lang anhaltenden Regenfällen in glitschige, mit Wasser gefüllte Rinnen verwandelten. Heftig hereinbrechende, sintflutartige Regenfälle zwangen zu zeitraubenden Pausen, unüberwindliche Gebirgsbarrieren zu schweißtreibenden und ermüdenden Umwegen. Enge, schroffe und zerklüftete Schluchten aus hartem Fels konnten nur akrobatisch überwunden werden. Flusstäler, die mit steil abfallenden, von der Witterung brüchig gewordenen, hohen Felswänden umsäumt waren, wurden gemieden, da ihr Betreten lebensgefährlich wäre. Mächtige bemooste umgestürzte Baumstämme, viele schon von einer reichhaltigen Pilzflora zersetzt, mussten überklettert werden. Breite, turbulente Flussstromschnellen mit unberechenbarer, schneller Tiefwasserströmung wurden mit Hilfe einer Sicherheitsleine, angefertigt aus Lianen, durchquert. So wurde das Risiko kalkulierbar. Imposante ungebändigte Urwaldflüsse, die über harte Gesteinsschwellen schossen und sich durch eine wilde ungezähmte Natur schnitten, konnten nur spektakulär durchschwommen werden. Riesenbäume, die von Blitzen zerschmettert waren, standen im Weg. In einem kleinen Dorf lernte ich die „smoked – bodies“ kennen - die letzten Mumien, die von alten Bestattungsritualen zeugen. Sie sind erst 50 bis 60 Jahre alt. Bis zu einem halben Jahr dauert solche ungewöhnliche Mumifizierung der Toten über Rauch und offenem Feuer. Während dieser Zeit wird ihnen öfter die Haut eingeritzt, so dass die Körperflüssigkeiten austreten können. Anschließend kommen die Mumien in Begräbnishöhlen. Als ich ihren dunklen stickigen „Aufenthaltsraum“ betrat, umgab mich eine sakrale Aura. Man spürte sofort die Anwesenheit alter mächtiger Götter. Mit einem Hauch der Ewigkeit grinsten mich die drei „smoked – bodies“ an, als wollten sie mich auf ihre geheimnisvolle Vergangenheit aufmerksam machen. Aus ihren Gesichtern sprach die spirituelle Kraft eines ganzen Volkes.
Das ein weißer Mann im Regenwald war, sprach sich herum wie ein Lauffeuer. Früh am nächsten Morgen, als ich aus Jo's Hütte kam, stand ein bewaffneter Stamm aus einem Nachbardorf vor der Tür. Mit ihren durchs Nasenseptum gestochenen langen Holzstückchen und dem wilden Paradiesvogelfederkopfschmuck sahen sie schon furcht erregend aus. „Jo, Jo“, rief ich, „was wollen die denn?“ - „ Die wollen gegen Bezahlung fotografiert werden.“ „Sag ihnen, ich habe schon viele Fotos ohne Bezahlung von anderen Eingeborenen geschossen.“ Antwort: „Sie wollen nicht gehen, denn sie sind extra deswegen hergekommen.“ Okay, machen wir einen Preis aus. Als wir uns einig waren (der Preis war gänzlich inadäquat), holte ich meine Kamera. So wie sie waren, wollte ich einige Schnappschüsse schießen, aber das war irgendwie nicht zu übersetzen und sie stellten sich wie rigide Zinnsoldaten in Reihe und Glied auf. Das waren sie wohl von früher aus der Kolonialzeit so gewöhnt, als die Fotografen noch unter ein Tuch krochen. Alle standen sehr ungelenk stramm, keiner traute sich zu bewegen. Als ich dem finstereren, Respekt einflößenden „Anführer“ das vereinbarte Geld gab, ließ er es sofort zu Boden fallen, schaute mich mit einem sinisteren Blick an und warf mir seinen Jagdspeer zwischen die Beine. Sofort verstand ich, er wollte nun noch mehr Cash. Seine rebellische Attitüde wurde zum Display der Provokation. Feindliche Kälte kam auf. Beherrscht holte ich aus meiner Fototasche Zigaretten und andere Kleinigkeiten, aber er schüttelte gleich verneinend mit seinem Kopf. „Money, Money, Money!!!” Das Versteck meiner Reisekasse wollte ich vor versammelter Mannschaft natürlich nicht preisgeben. Wacker standhaltend, hellwach und mit Kalkül fing ich theatralisch an, in meinen leeren Hosen und Hemdtaschen zu suchen, negativ. Das gleiche tat ich mit meinem Rucksack. Achselzuckend und mit Mimik gab ich zu verstehen - ich habe nicht mehr. Dann holte ich aus einer Seitentasche, die extra für solche Fälle mit Kleingeld präpariert war, alle Münzen heraus und legte sie auf die am Boden liegenden Geldscheine. Wie von einem Stasizöllner wurde nun signalisiert, in dieser Tasche noch einmal richtig nachzuschauen. Als man sich überzeugte, daß sie auch wirklich leer war, ließ man unzufrieden und pikiert von mir ab. Na, Gott sei Dank! Die anderen Papuas, die eben noch neutral Spalier gestanden hatten, wurden unruhig und hielten schon ihre bedrohlichen Steinkeulen parat. Jo hatte sich verkrümelt und war außer Sichtweite. Mir wurde es schon ganz mulmig. Noch länger hätte ich dieser prekären Nervenprobe nicht standgehalten. Täglich wird auf Papua Neuguinea wegen viel weniger ein Mensch erschlagen und der eine oder andere Forscher ist nicht mehr zurückgekommen. Ganze Expeditionen blieben verschollen.

 

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