Hätte ich bloß nach einer Machete gefragt oder wenigstens mein kleines
scharfes Haumesser mitgenommen! Als Ersatz suchte ich mir einen geeigneten Knüppel, um weiter vorwärts zu kommen. Im Weg stehendes Geäst drückte ich mit ihm zur Seite und Rankenpflanzen nach oben, um unten durchkriechen zu können. Den Rest trat ich einfach um. Nach einiger Zeit stieß ich auf einen winzigen alten fußbreiten Buschmannpfad, der noch nicht ganz wieder zugewachsen war. Jetzt kam ich gut voran. Mein Interesse galt den alten abgestorbenen Bäumen, in denen ein Quetzal brüten könnte. Der Höhlenbrüter mag diese besonders. Unter meterlangen Baumfarnblättern, die von links und rechts über den Weg hingen und diesen wie einen grünen Tunnel erscheinen ließen, setzte ich meine Erkundungstour fort. Mächtige Mahagonibäume tauchten auf. An einigen Bachläufen wucherte der seltene Braunfarn.  Ein gelber, mit schwarzen Streifen und roten Tupfen ausgestatteter Schmetterling erinnerte mich an den bei uns beheimateten  Schwalbenschwanz. Über das Lichtschattenmosaik des Waldbodens  liefen eifrige Blattschneiderameisen. Möglichst leise und sehr langsam arbeitete ich mich weiter vor. Das tellergroße Radnetz einer Spinne versperrte mir den engen Weg. Es schien förmlich in der Luft zu schweben und ein leichter Windhauch ließ es an seinen seidenen Fäden zärtlich wippen, eine klebrige Falle für ahnungslose Insekten. Wie Perlen aus reinem Silber tropfte kristallklares Wasser von den dunkelgrünen Blättern einiger Pflanzen. Hinter einem unscheinbaren, mit wildem Gestrüpp bewachsenen Hügel kam mir ein verträumter Nasenbär entgegen. Erst auf der sanften Kappe des kleinen Berges konnte er mich sehen. Wir schauten uns beide staunend und verblüfft in die Augen. Stagnierend auf drei Beinen stehend und mit gespitzten Ohren sicherte er die überraschende Situation. Ich dagegen versuchte die Luft anhaltend, halb gebückt, halb stehend die aufregend spannende Begegnung zu kontrollieren. So verharrten wir für eine knappe Minute. Deutlich konnte ich seine grauen Tasthaare und das prüfende Zittern seiner rüsselartig verlängerten Nase erkennen, dann versuchte ich ganz langsam an meine Kamera zu kommen. Das prächtige Tier befand sich in ausgezeichnetem Licht, was äußerst selten im Regenwald ist, und die Entfernung war optimal. Mein Puls raste, hoffentlich  blieb er so stehen, aber kaum zu Ende gedacht verschwand der rotbraune Kleinbär im dichten Blätterwerk hinter mit niedrigem Farn überzogenen, umgeworfenen Baumstämmen. Caramba! Rien ne va plus. An einem Berghang auf einer krautgrünen Waldlichtung  konnte ich zwei rabengroße Tukane, die sich nicht weit von mir auf einem laublosen ausladenden Ast tummelten, ausmachen. In meine Beobachtungen war ich so vertieft, dass ich fast zu Tode erschrocken zusammenzuckte, als es unmittelbar neben mir laut raschelte. Eine giftige Schlange hast du übersehen, schoss es mir durch den Kopf, aber es war nur eine harmlose dunkelbraune Eidechse, die soviel Radau machte. An einem weiß schäumenden Wasserfall, der sich gut fünfundzwanzig Meter über eine Kaskade in die Tiefe stürzte, legte ich eine Pause ein, um Energie für den Rückweg zu tanken.

  Am Abend, als die galanten Eigentümer wieder zu Hause waren, fragte ich den Vater des Mädchens, wo man denn einen Quetzal am besten finden würde. Er erklärte mir, dass meine Chancen sehr gut seien, denn er habe kürzlich ein Pärchen ganz in der Nähe gesehen. Warum das Biotop geschlossen sei, wollte ich noch wissen. Es habe in den letzten Tagen Überfälle auf Touristenbusse gegeben, deshalb bliebe es auf ungewisse Zeit zu. Vor meiner Hütte hörte ich ein lautes Brummen und dachte an eine Hornisse oder Hummel, aber es war ein blaugrün gesprenkelter Kolibri, der wie ein kleiner Helikopter vor einer Blume in der Luft stand und seinen langen, dolchartig gekrümmten Schnabel tief in einen Blütenkelch tauchte.

   Nachdem ich die Gegend nun einigermaßen gut kannte, machte ich mich am nächsten Morgen gegen 5.00 Uhr erneut auf den Weg. Diesmal nahm ich eine andere Route und das frühe Aufstehen sollte sich bald bezahlt machen. Es war noch ziemlich frisch und mich fröstelte es sogar. Es hatte die ganze Nacht geregnet und der lehmige Boden war so aufgeweicht, dass es mir im wahrsten Sinne des Wortes die Schuhe auszog, wenn die Füße bis zu den Knöcheln in den rutschigen Boden einsanken. Der fast undurchsichtige Nebelwald machte heute seinem Namen wirklich alle Ehre. Die Wolken hingen so tief herunter, dass man eher glaubte, jemand hätte sie auf den Boden gestellt. Die im dichten Nebel von den trockenen Ästen herabhängenden Bartflechten waren so früh im Morgengrauen schon etwas angst einflößend und der ausklingenden Nacht haftete noch das Unheimliche an. Alles wirkte schauerlich und gespenstig. Aus der Ferne war das markdurchdringende Heulen einiger Brüllaffen zu hören und mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ihr dumpf, dröhnendes „Iba-oba-uba“ verstummte erst lange nach Sonnenaufgang. Wie dämonische Wesen mit ungepflegten Bärten standen einige kolossale Baumriesen im hellgrauen Nebel vor mir.

 

zurück  nach oben   weiter
Seite 2
all copyrights reserved @ 2000-

www.rafflesia.de