Sie bauten an den Flußläufen und auf Rodungen im Urwald Maniokstauden an,
aus deren mehlhaltigen Wurzelknollen sie Fladen buken. Das Blasrohr wußten
sie mit großer Geschicklichkeit zu gebrauchen. Die nadelscharfen
Pfeilspitzen wurden vorher in Schlangengift getaucht.
Für Gäste stand ein überdachter Schlafplatz auf Pfählen, neben einer
großen Gemeinschaftshütte, zur Verfügung. Nachdem mich Bill, mein
zuverlässiger Guide, bekannt gemacht hatte, spannten wir unsere
mitgebrachten, muffig riechenden Moskitonetze auf und nahmen die Decken
als Unterlage. Einige aufgeweckte Kinder des Dorfes beobachteten alles
aufmerksam. Ihnen entging auch nicht, als ich einen Bonbon aus meiner
Hosentasche holte. Nun kamen natürlich die restlichen Kinder auch hervor.
Nachdem ich allen "kleinen" Indios einen Bonbon gab, rief die ganze
freudestrahlende Kinderschar: "Candyman, Candyman". Das hatten sie von Touristen aufgeschnappt, die hier manchmal für
eine halbe Stunde Visite machen, nur "um da gewesen" zu sein. Anschließend
fahren sie wieder zurück in ihre Luxuslodge, denn hier gibt es keinen
elektrischen Strom, keine Waschgelegenheit geschweige denn eine Dusche
oder Toilette, weder ein Bett noch Tisch oder Stuhl, und das einzige
Getränk ist Wasser. Zum Sitzen und Schlafen ist die Erde da, zum Waschen
der Fluß. Es gibt keine Kommunikation mit der Außenwelt. Sobald die Sonne
sinkt, kommen Tausende stechwütiger Moskitos und der Aufenthalt im Freien
ist kaum noch zu ertragen. Die Angst vor der tödlichen Malaria, Hepatitis
und anderen Krankheiten kommt dazu. Viele haben auch ein Problem mit den
haarigen Vogelspinnen, die man hier oft zu sehen bekommt. Mit
ausgestreckten Beinen werden sie 20 x 20 cm groß. Auch mit den anderen
Spinnenarten, von denen einige giftig sind, oder den zahlreichen Schlangen
möchten sie keine Bekanntschaft machen.
Nicht zu vergessen die unzähligen, großen Waldameisen, die ständig
über die Schuhe an einem herauf krabbeln und sehr schmerzhaft zubeißen
können. Das ist noch viel unangenehmer als die Stiche der Moskitos, denn
ihre Bisse brennen wie Feuer. Und dann gibt es da noch die freundlichen
Fliegen, die mit Unterstützung einer Mückenart ihre Eier in deren
Stichwunden ablegen, die dort zu Maden heranwachsen. Die anderen lästigen
Insekten wie Gnitzen, Bremsen oder Zecken erwähne ich lieber erst gar
nicht. Die Tiere und Pflanzen aber, die den Menschen das Leben in der
Idylle des Regenwaldes zur Freude machen, sehen diese Touristen nicht.
Dabei denke ich an die prächtigen Segelfalter oder die reizvollen
Nachtschwärmer. Blaß, in allen erdenklichen Farben schimmernd und sehr
riesig, sind sie deutlich größer als unsere einheimischen Falter. Ich habe
Schmetterlinge gesehen, deren Farbgebung man überhaupt nicht beschreiben
kann. Von Azurblau über Purpurrot bis Dukatengold schillerten ihre Flügel.
Dazu kommt die endlose Schönheit der immergrünen, außergewöhnlichen
Pflanzenwelt, von der ich meine Blicke nicht ablassen konnte: Der kleine
wild rauschende Waldbach, der sich auf dem Weg zum mächtigen Amazonas
durch eine noch natürliche Vegetation windet und vom Leben im Urwald
erzählt, die einzigartige Blütenpracht der Orchideen und die botanischen
Kostbarkeiten, die erst noch entdeckt werden wollen. Hier in dieser
zauberhaften Fauna und Flora hatte ich das Glück, in einer Zeit der
sterbenden Wildnis und der sich lichtenden Urwälder, Gast sein zu dürfen.
Ein Indiojunge zeigte mir stolz eine selbstgebaute Holzkiste, in der er
eine kleine Anakonda von etwa 2 m Länge eingesperrt hatte. Mir fiel auf,
daß sie am Kopf völlig mit Zecken befallen war. Nun holte er sie heraus
und ich sollte sie um meinen Hals hängen. Seiner Aufforderung folgte ich.
Anakondas werden bis zu 9 m lang. In Iquitos behauptete ein Jäger mir
gegenüber, eine Anakonda von 14 m Länge gesehen zu haben. Er zeigte mir
auch ein Foto, auf dem 6 Männer ein telegrafenmastenstarkes Exemplar fest
hielten. Die genaue Länge war jedoch nicht zu erkennen. Der Längenrekord
einer Anakonda beträgt 11,43 Meter (Stand 1981). Interessant war auch das
kleine, aber bereits ausgewachsene Äffchen, das seinem Begleiter aus der
oberen Hemdtasche schaute. Es hatte gerade mal die Größe einer
Zigarettenschachtel. Auch ein anderer Junge holte nun eine Schlange, die sich ebenfalls in
einer Kiste befand, um sie mir zu zeigen. In einem tiefen Loch, das mit
Wasser gefüllt war, hielt er eine Matamata (Schlangenhalsschildkröte mit
bizarrem Rückenpanzer) gefangen. Währenddessen begutachteten die Männer
meinen Schlafsack und die Fotoausrüstung. In derselben Zeit war Ernesto,
der Koch, schon fleißig, und hatte das Abendessen am Feuer einer Familie
vorbereitet.
Als er mich heranwinkte und ich die rauchige Hütte über einen
dünnen Baumstamm mit Kerben, der als Leiter diente betrat, fiel mir ein
verbrannter Geruch auf. Ich zeigte auf meine Nase, um zu erfragen, woher
die schlechte Luft kam. Da holte ein Junge, der mit am Feuer saß, zwei Ratten aus der Glut und
hielt sie an den Schwänzen in die Luft. Kein Wunder, daß es so stank, denn
er grillte sie mit ihrem gesamten Fell. Hoffentlich nahm meine Mahlzeit,
die auf demselben Feuer in einer Blechpfanne zubereitet wurde, nicht den
versengten Geruch an. Nach dem Essen im letzten Abendlicht kroch ich unter
mein Moskitonetz, als die Moskitos, die in Schwärmen das nahe Wasser
verlassen hatten, mich zu peinigen begannen. Im Regenwald ist der Tag
vorbei, wenn die Sonne untergeht.
Am darauf folgenden Morgen bereiteten wir eine Buschtour vor. Es ging
durch ein schwer zugängliches Gebiet. Der weit ausgedehnte Regenwald, noch
unzerschnitten von Straßen und Eisenbahnlinien, ist wild, urwüchsig und
von spektakulärer Schönheit. In einer Graswiese hatte Bill, der vor mir
ging, eine dösende Schlange beim Sonnenbad übersehen. |