Am nächsten Tag beluden wir ein kleines Kanu, um
unsere Reise fortzusetzen. Wir nahmen einen 20 Liter Kanister mit Wasser,
Proviant für drei Tage, Decken, ein Ersatzpaddel und 3 Moskitonetze mit.
Nun konnte das große Abenteuer Amazonas beginnen. Amazonas ! Ein
eigentümlicher Zauber liegt in diesem Namen, etwas, das ungeahnte
Abenteuer verspricht und mich an die furchtlosen Entdecker erinnert, die
hier schon vor 100 oder 200 Jahren ihre Füße an Orte setzten, die noch nie
ein Weißer vorher betreten hatte.
Ein Wasserhuhnpärchen schreckte
verstört auf, als wir über einen Teich, der vollkommen mit Seerosen und
Lilienblättern bedeckt war, fuhren. Das Boot ließ sich nur mühselig
fortbewegen, da wir ein sumpfiges Waldstück passieren mußten. Ständig war
es erforderlich, per Hand Zweige und Rankenpflanzen aus dem Weg zu räumen,
an denen sonst die Bootsspitze hängen bleiben würde.
Kleine Bäume und Buschwerk, die im Hochwassergebiet standen, wurden
geschickt umfahren. Meterlange Flechten und ganze Büsche von Orchideen
hingen von oben herab und durchzogen die Luft förmlich wie Netze von
grünen, braunen und fast schwarzen Fäden, Stricken und Seilen, bald kraus
durcheinander, bald zu Zöpfen geflochten. Um den niedrig hängenden Zweigen
zu entgehen, mußten wir uns ducken. Oft standen die Bäume so dicht, daß
wir nicht mehr paddeln konnten, und wir griffen in das Geäst, um uns
abzustoßen. Kaimane stürzten sich vollkommen überrascht und blitzschnell
von ihren Lieblingsplätzen ins Altwasser. Bald befanden wir uns auf einem
kleinen Nebenfluß des Amazonas, den wir nur mit viel Mühe erreichten. Auf
ihm schwammen uns viele Wasserhyazinthen, die wie grüne Tupfen auf das
tief dunkelblaue Wasser gesprenkelt waren, entgegen. Das Kanu konnte
endlich Fahrt aufnehmen und die Natur öffnete uns nun ein Fenster in eine
andere, feuchtschwüle tropische Welt. Im glatten, tiefblauen Wasser
spiegelten sich die am Ufer stehenden Bäume. Grüne Papageien flogen
paarweise über den Fluß.
Unsere Reise wurde nun von tausend Urwaldgeräuschen, angenehmen
Gerüchen wie von vermodertem Holz, Erde und durchnässten Blättern und dem
Gesang kleinerer Vögel begleitet. Viele Laute waren mir völlig unbekannt.
Weithin schallte das ungestörte Chorgejaule der Brüllaffen. Auf einigen
Flussabschnitten war es dagegen sehr still und es entstanden friedliche
Oasen der Ruhe. Beeindruckend waren die farbenprächtigen, frei lebenden
exotischen Vögel, die man nur aus Volieren kannte. An den ausgedehnten,
moosgrünen Schilfgürteln standen weiß leuchtende Seidenreiher, die durch
unser näher kommen lautlos mit weichem Flügelschlag abstrichen.
Rötlich
strahlende Libellen passierten niedrig fliegend das verschlammte Ufer
eines Seichtwassertümpels, über den hunderte Moskitos wie Schneeflocken im
Wind tanzten. In einer kleinen
flachen Bucht tauchte vor uns ein Wunder der Natur auf. Victoria regia,
die "Königin der Seerosen". Die märchenhaften Blätter mit den
eindrucksvoll nach oben gebogenen Blatträndern schwammen wie gewaltige
grüne Schalen auf dem glatten Wasser. Sie können einen Durchmesser von 2 m
erreichen und ein Gewicht von 50 kg tragen.
"Nachdenklich blickte ich auf den um mich herum
sich ausbreitenden völlig glatten Wasserspiegel des Flusses, als plötzlich
irgendein ungewöhnlicher Gegenstand in der Ferne, am Südufer des Flusses
meine Aufmerksamkeit fesselte. Ich konnte mir nicht einmal annähernd
vorstellen, was das sein könnte, und legte mich nun stärker in die Ruder
meines Kahns, von äußerster Verblüffung gepackt. Bald tauchte vor mir ein
Wunder aus dem Pflanzenreich auf, und ich vergaß allen Kummer und alle
Aufregung." (Richard Schomburgk)
Man schrieb den 1. Januar 1837. Der Botaniker hatte die Königin unter
allen Wasserpflanzen entdeckt. Leider hatte ich nicht das Glück, die
riesige majestätische, von schneeweiß bis feuerrot gefärbte, Blüte zu
sehen. Nachdem ich dieses auf meiner Reise einmalige Erlebnis aufgenommen
hatte, setzten wir unsere Fahrt fort. Am Ufer glitten ständig
Waldschmetterlinge, die in allen Regenbogenfarben leuchteten, im Tiefflug
entlang. Weitspringend und polternd flüchteten einige lang geschwänzte
Affen in die höher gelegenen Baumkronen und verschwanden bald im
blätterreichen Astwerk. Am Nachmittag erreichten wir ein kleines
Indio-Dorf vom Stamm der Yaguas. Hier lebten fünf Familien friedlich, im
Einklang mit der Natur, in einfachen Buschhütten. In dieser kleinen
Siedlung wollte ich die nächsten Tage verbringen. |